Hi,
anbei ein Auszug aus meiner "Tourberichterstattung" für das Jethro Tull Fanclub Magazin "Beggars Farm":
Der Spot ging an und auf der Bühne eröffnete Ian den Abend mit „Life’s a long song“. Mit Fortschritt des Songs betraten dann auch die anderen Jungs nach und nach die Bühne und ich hätte mir im Traum nicht vorstellen können, dass ein akustischer, ruhiger Song wie dieser, den perfekten und logischsten Opener eines Tullkonzertes darstellen könnte – aber genau dies war der Fall! Auf dem Papier sieht das vielleicht ein wenig merkwürdig aus, wer es jedoch erlebt hat, wird mir hier zustimmen.
Weiter ging es mit „Skating Away“, „Living In The Past (acoustic version)“, „Slipstream“, „Up To Me“ bevor Ian die umstrittene Lucia Micarelli ankündigte, mit der die Band dann eine umwerfende Version von „Griminelli’s Lament“ zum Vortrage brachte.
Zu diesem Zeitpunkt war mit klar, dass dieser und die folgenden Abende ganz besondere werden sollten. Die Entscheidung den Schwerpunkt zunächst auf die akustischen Nummern zu legen korrespondierte wunderbar mit der Theateratmosphäre der gewählten Venues und das Publikum lauschte andächtig dem hochklassigen Vortrag dieser Ausnahmeband.
Die Platzierung des „kleinen“ Drumkits am Bühnenrand erzeugte eine Intimität zwischen den Musikern untereinander, die ich im Jethro Tull Zusammenhang selten zuvor erlebt habe. Jedem der fünf Herren war die Freude am Beruf und der Spaß an der Performance deutlich anzumerken.
Lucia fügte sich bei „Griminelli’s Lament“ wunderbar in das Gesamtgefüge ein und übernahm hier die zweite Flötenstimme der Albumversion auf der Violine. Wunderschön!
Danach bekam Lucia dann ihren Soloslot „Sibelius’ Violin Concerto“, welches sie ja bereits auf der Orchestertour im vergangenen Jahr in Amsterdam spielte. Dieses Stück ist nicht so ganz meine Tasse Tee, jedoch gefiel es mir hier deutlich besser als im vergangenen Jahr in den Niederlanden – was nicht zuletzt an der zwar spärlichen, aber überaus wirkungsvollen Bühnenbeleuchtung gelegen haben mag.
Weiter ging es mit einer wunderbaren Rendition von „Wondrin’ Aloud“. Danach passierte etwas, womit ich nun so gar nicht gerechnet hatte. Ian kündigte das berüchtigte „Moz’Art Medley“ an. Diese Tatsache an sich überraschte mich noch nicht – aber das diese Nummer im Jethro Tull Arrangement derart gut funktioniert, hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Wer meine Kritik zu der Orchestershow gelesen hat wird sich erinnern, dass ich es seinerzeit als absolut störend empfand, dass der Fluss von JT Musik derart oft unterbrochen war – doch diesmal fügte sich alles zum Guten. Das Medley hat mit der Band deutlich mehr „punch“ und Druck als in der bekannten Orchesterversion und das Stück fügte sich nahtlos in den bisherigen, tollen Abend ein.
Ian kündigte zwischendurch dann auch offiziell an, dass es sich um ein Konzert in zwei Hälften handeln wird, wobei der Schwerpunkt der ersten Hälfte auf akustischer Musik liegen soll (…..mittlerweile hatten wir das allerdings auch schon so begriffen….. ;-) während in der zweiten Hälfte Musik vorgetragen werden sollte, die unsere Ohren bluten lassen wird!
Doch noch war es nicht soweit. Es folgten „Cheap Day Return/Mother Goose“, das wunderbare “She’s like the swallow” von Lucia’s Album “Music from a farther room” (see review elsewhere) und das obligatorische “Bouree”, wofür Doane dann hinter seinem mächtigen Drumkit Platz nahm, und dem Jonathan ein neues Bass-
Solo beisteuerte. Wobei ich hier als alter Traditionalist sagen muss, das mir das klassische Solo besser gefällt.
Danach war Pause und ich, meine Frau und der überwiegende Teil der knapp 1300 Anwesenden in dem ausverkauften Theater waren begeistert.
Nun sollte also der „Rock’n’Roll“-Part folgen. Doch wieder kam zunächst mal alles anders.
Lucia betrat allein die Bühne und begann ihr „Nocturne“, begleitet von Giddings’ Piano, vorzutragen welches dann allerdings völlig überraschend in eine kurze Version von Queens „Bohemian Rhapsody“ überging, wozu dann der Rest der Band einstieg. Genial die Reaktionen des Publikums. Von ungläubigen Staunen über überraschtes Gelächter. Und während all dieser Zeit – die das anwesende Publikum natürlich bis zu einem gewissen Grade auf eine Geduldsprobe stellte, verlor sich niemals die Spannung und Tull und Miss Micarelli hatten das Auditorium zu jeder Zeit fest im Griff.
Doch damit noch nicht genug der Überraschungen und mutigen Experimente. Direkt im Anschluß erklärte Ian dem Publikum Lucia’s Vorliebe für alte Männer und klassische Rockmusik der 70er Jahre, um danach in eine Höllenversion von Led Zeppelin’s „Kashmir“ einzusteigen. Und was war das für eine Version. Doane malträtierte seine Felle mit mächtiger Wucht, Jon wummerte im perfekten Zusammenspiel mit ihm die tiefen Töne in die Magengegenden des Publikums und Martin riffte wie ein Heavy Metal Monster. Großartig, und ich hätte niemals erwartet, dass mir dies derart gut gefallen könnte. Klingt Zeppelin’s Originalversion in meinen Ohren ein wenig schwachbrüstig, verhalfen Tull und Lucia diesem Klassiker hier zu völlig neuem Hardrockglanz! Und überhaupt Lucia – sie hier beim Spiel zu beobachten war eine wahre Freude. Das Mädchen hing sich mächtig ins Zeug. Gesichtsausdruck und Körpersprache zeugten von Passion und Liebe zur Musik! Klasse!
Und jetzt gab es kein Halten. „Cross Eyed Mary“ und „Hymn 43“ wurden mit Wucht ins Publikum abgefeuert.
Jethro Tull 2006 – nobody does it better! Die ganze Band feuerte auf allen Zylindern. Doane Perry scheint in der Form seines Lebens zu sein und kesselt und „zurpelt“ sich mit Macht durch das Set!
Es folgten Martin’s „Morris Minus“, „My God“ und die obligatorischen „großen Vier“ in Form von „Budapest“, „Aqualung“ und als Zugaben dann „Wind Up/Locomotive Breath/Protect & Survive“ mit den üblichen Ballons.
Und alles vorgetragen mit unglaublicher Energie und Präzision. Empfand ich in der ersten Hälfte die gediegene Theateratmosphäre noch als überaus passend, hielt es mich in der zweiten Hälfte kaum noch in meinem Sitz. Und spätestens bei „Wind Up“ gab es auch für die übrigen 1299 Anwesenden kein Halten mehr und die Leute standen – nicht gerade auf – aber dennoch vor den Stühlen. Klasse! Ein Riesengig fand sein Ende! Ich und meine
tapfere Frau waren gleichermaßen überwältigt.
Beim anschließenden „Chill Out“ im Pub nebenan bekundeten auch andere, bekannte und unbekannte „Fellow Fans“ ihre Begeisterung mehr oder weniger gleichlautend.
Viele Grüße,
J.